Jetzt oder nie - nur so kann die Devise von Jonas Vingegaard vor dieser 19. Etappe in den Alpen lauten. In der Gesamtwertung über 3’ hinter Tadej Pogacar stehen die Zeichen vier Tage vor Ende der Tour de France 2024 und der vorentscheidenden Alpenetappe zwischen Embrun und Isola 2000 für den Titelverteidiger auf Angriff. Trotz seines schweren Sturzes im Frühjahr muss er auf den 144,6 km noch einmal alles raushauen, wenn er dem ebenfalls zweifachen Tour-Sieger den dritten Erfolg noch streitig machen will.
Das Profil mit zwei Bergen der Ehrenkategorie - Col de Vars und Cime de la Bonette - und einer Bergankunft in Isola 2000 (1. Kategorie) kommt solchen Ambitionen entgegen. Es sollte auf jeden Fall die Basis für den Start der Aufholjagd im Verbund mit den beiden folgenden finalen Etappen zum Col de la Couillole und nach Nizza sein. Los geht’s heute zur Mittagszeit in Embrun, wo die Tour zum siebten Mal zu Gast ist. Streckenchef Thierry Gouvenou kommt den schnellen Männern mit dem frühen Zwischensprint entgegen. Auch wenn vor allem Girmay und Philipsen nach 21 km in Guillestre leicht bergauf sprinten müssen, werden sie wohl um die Punkte kämpfen wollen.
Wo bleibt die zweite Luft?
Denn danach warten über 2.000 m hohe Berge mit sehr hohen Steigungsprozenten. Zunächst der Col de Vars nach 40 km in 2109 m Höhe. 18,8 km mit im Schnitt 5,7 % und einer Passage über 10 %. Die Taktik wird entscheiden, ob die hinter Pogacar platzierten Klassementfahrer schon hier attackieren oder ob sie warten bis zu Aufstieg und Überquerung des Dachs der Tour, den Cime de la Bonette in 2.802 m Höhe. Zum Gipfel muss 22,9 km mit im Schnitt 6,9 Steigungsprozenten geklettert werden. In Teilen nicht so steil, aber sehr herausfordernd. Bei der Kletterpartie zur höchsten befestigten Straße Frankreichs beeindruckt der Berg mit einem wilden und zugleich faszinierenden Profil. Ein echtes Hochgebirgsterrain mit möglichen Wetterwechseln von Sonne bis Schnee vom Tal bis zum Pass. Von 1232 m in Jausiers müssen die Fahrer über 1500 Höhenmeter hinauf kraxeln. Mit Muskelkraft und nicht mit dem E-Bike! „Auf den letzten 10 km hoffen die Fahrer vergeblich auf die zweite Luft“, wie Ex-Profi Cyril Dessel sagt. Dieser Berg kann zudem die Wende im Kampf um das Trikot mit den roten Punkten einleiten, das Pogacar seit Tagen von seinem ärgsten Rivalen tragen lässt. Denn von den 60 Bergpunkten heute sind hier alleine 40 zu gewinnen - doppelte Punktzahl also. Man wird sehen, ob Richard Carapaz und Oier Lazkano noch die Kraft haben, hier Punkte zu holen.
Noch einmal auf über 2.000 m Höhe
Es folgt eine lange Abfahrt bis nach Isola 904 m über dem Meeresspiegel. Nur wer bis dahin nicht bereits total erschöpft ist - zumal am Ende der Frankreich-Rundfahrt und nach 18 kräftezehrenden Streckenabschnitten - kann hier eine Entscheidung über den Etappensieg oder sogar mehr erzwingen. Denn es folgt das schwere Finale 16 km hinauf nach Isola 2000, einen Berg der 1. Kategorie auf 2024 m Höhe. Die körperliche Belastung wird trotz der relativ kurzen Etappe enorm sein. Gouvenou spricht von der „Stunde der Wahrheit“. Es ist jedoch nur das erste Kapitel des Showdowns in den Alpen. Zwei weitere folgen Samstag und Sonntag. Erst danach können die Champagnerkorken knallen.