Ein Herzenswunsch von Tour-Direktor Christian Prudhomme geht heute in Erfüllung. Und ältere Radsportfans werden in Erinnerungen an historische Finals schwelgen, wenn die 9. Etappe von Saint-Léonard-De-Noblat über 182,4 km zum Puy de Dôme führt. Vor allem an das Mann-gegen-Mann-Duell von Jacques Anquetil und Raymond Poulidor 1964, das den Mythos des Anstiegs auf den bekanntesten Vulkan der Auvergne, begründet hat.
Die 9. Etappe ist einer, wenn nicht der Höhepunkt der diesjährigen Tour de France - die Königsetappe im Mittel- und am Schluss im Hochgebirge mit dem legendären Bergauf-Finale von 13,3 km mit Passagen von über 12 % auf den letzten vier Kilometern. Zuletzt stand dieser brutale Anstieg vor 35 Jahren auf dem Streckenplan, auch weil er aus ökologischen Gründen weitgehend gesperrt war. Der Berg gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe, zu einem Schutzgebiet, in dem Umwelt, Flora und Fauna von den Besucherinnen und Besuchern respektiert werden müssen.
„Ein Traum“ für Cavagna
Auch für die aus der Nähe stammenden Profis ist „die Kletterpartie auf den Puy de Dôme ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist“ (Rémi Cavagna). Ein Anstieg der zudem „anders ist als die, die wir sonst in Angriff nehmen“ (Romain Bardet). Die asphaltierte, schmale Straße schlängelt sich mit einer steilen, aber gleichmäßigen Steigung um den Berg. Am Schluss nur drei Meter breit. Die letzten vier Kilometer finden ohne Publikum statt. Die Anzahl der Autos im Rennkonvoi ist begrenzt, zwischen den möglichen Ausreißern und dem Feld dürfen keine fahren. Auch die Übertragungsteams müssen im Tal bleiben. Bis dahin dürfte es schon munter zur Sache gehen: Nach 30 km am Lac de Vassivière die vermutlich letzte Auseinandersetzung der schnellsten Männer bei der Sprintwertung; 45 km weiter zwei Berge der 4. Kategorie und nochmal 40 km danach ein Berg der 3. Kategorie, die Côte de Pontaumur in 734 m Höhe. Von dort geht es nach Clermont-Ferrand leicht bergab, um dann noch brutaler anzusteigen. Nach einer kurzen Atempause ist die finale Kletterpartie „Furcht einflößend“.
Eine Etappe für Ausreißer oder doch für die Favoriten?
Vom Start weg ein Terrain, das Ausreißer animieren sollte. Zugleich werden die Augen aber auch auf die beiden großen Tour-Favoriten Vingegaard und Pogacar gerichtet sein. Werden die Beiden würdige Nachfolger ihrer Vorgänger Anquetil und Poulidor und sich einen Schlagabtausch liefern? Eine Neuauflage des Ellenbogenduells gar? Oder wird diese besondere Etappe zu einer Triumphfahrt für Poulidors Enkel, Mathieu van der Poel? Können etwa die deutschen Fahrer für eine Überraschung sorgen? Vom ersten bis letzten Meter ist heute jedenfalls absolute Hochspannung angesagt. Anquetil und Poulidor lassen grüßen!