Was für ein Spektakel: Wout van Aert vor Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar. Max Schachmann hervorragender Neunter und damit bester Deutscher bei diesem schweren Zeitfahren. Bora-Kapitän Vlasov hat tatsächlich Quintana und Meintjes noch abgefangen und belegt vor dem Finale in Paris Platz 5. Der heutige Sieger und Gewinner des Grünen Trikots wurde zudem zum kämpferischsten Fahrer der gesamten Tour gewählt.
Die Experten hatten sich bei der Bewertung der Strecke des Zeitfahrens auf ‚technisch anspruchsvoll aber nicht zu schwer‘ geeinigt. Der Schlussanstieg mit bis zu 8 Prozent war jedoch ein Gradmesser für die beste Endzeit. Und Filippo Ganna (IGD) stürmte - wie später der Sieger der Etappe - den letzten Kilometer mit knapp 27 km/h hoch zum Ziel in Rocamadour, wo er nach den ersten 90 Fahrern mit deutlicher Bestzeit und als erster unter 49’ notiert wurde: 48’41’’. Damit verdrängte er Mikkel Bjerg (UAE) vom heißen Stuhl. Als Fred Wright (TBV) bei der ersten Zwischenzeit um eine Sekunde schneller gemessen wurde, schien sich eine faustdicke Überraschung anzubahnen. Aber der Engländer war zu schnell angegangen. Ähnlich erging es Nils Politt (BOH), der bei der zweiten Zwischenzeit nur 16’’ langsamer gestoppt wurde. Im Ziel waren es trotz starker Leistung 1’21’’ und zwischenzeitlich Platz 5. Diesen Platz machte ihm sein Mannschaftskamerad Max Schachmann streitig, der nach einem beherzten Finish nur 55’’ hinter Ganna und damit vorerst Platz 4 belegte und am Ende Neunter der Tageswertung wurde. Mitfavorit Stefan Bissegger hatte nach Defekt keine Chance mehr und rollte am Schluss locker aus. Ebenso der Überraschungssieger des Zeitfahrens in Kopenhagen, Yves Lampaert.
Neue Referenzzeit durch TGV Wout van Aert
Dann ging es Schlag auf Schlag. Erst überraschte Bauke Mollema mit neuer Bestzeit nach 10,6 km - 5’’ vor Ganna. Doch Wout van Aert setzte bei der ersten Zwischenzeit eine neue Bestmarke: 5’’ schneller als der Niederländer und wirbelte damit das bisherige Klassement durcheinander. Der Europameister im Zeitfahren, Stefan Küng (GFC), lag im Ziel sogar hinter Schachmann! Mollema musste seinem Anfangstempo Tribut zollen und rutschte zunächst auf Platz 3 hinter van Aert und Ganna. Simon Geschke war weit abgeschlagen bereits in Rocamadour, wo er France 2-TV ein lockeres Interview in französischer Sprache gab - wohlwissend, dass er nicht im Bergtrikot auf dem Podium in Paris stehen würde. Als die ersten 10 der Gesamtwertung losfuhren, wuchs die Spannung erneut an. Mollema landete vorerst mit 40’’ hinter dem Italiener auf Platz 2. Da war van Aert schon an der Flamme Rouge. Und sprintete mit neuer Bestzeit 41’’ vor Ganna ins Ziel.
Der letzte Schlagabtausch der Favoriten
Alle Augen und Uhren waren jetzt auf die beiden Führenden in der Gesamtwertung gerichtet. Bei der ersten Zwischenzeit unterbot Tadej Pogacar van Aert um 1’. Doch Jonas Vingegaard war noch einmal 7’’ schneller. Geraint Thomas hier eine Sekunde hinter dem Mann in Grün. Alexander Vlasov fuhr sehr stark gegenüber seinen Konkurrenten Quintana und Meintjes und schob sich im Gesamtklassement auf Rang 5 vor. Bei der dritten Zeitmessung war Vingegaard nur noch 2’’ vor seinem Mannschaftskameraden und 5’’ vor Thomas. Pogacar hatte 22’’ dahinter den Etappensieg schon abgeschrieben. Auf den letzten Kilometern verlor Vingegaard weiter Boden und hätte fast noch die Felswand touchiert. Thomas hatte Zeit verloren: 32’’ hinter van Aert, der wieder auf den Sieg hoffen durfte. Ihm folgte Pogacar 27’’ hinter dem Mann in Grün. Vingegaard auf dem letzten Kilometer. Er schien zugunsten seines Mannschaftskameraden rauszunehmen und landete mit 18’’ Rückstand in den Armen von Frau und Kind. Eine erneute Demonstration von Jumbo-Visma, die Übermannschaft der Tour de France 2022.
