Im Laufe ihrer gesamten Karriere haben insgesamt 67 Radrennfahrer das Gelbe Trikot getragen – einen Tag lang oder noch weniger. Damit liegen sie Lichtjahre hinter Eddy Merckx und sind weitaus weniger bekannt als die drei anderen Fahrer, die jeweils fünf Mal die Tour gewonnen haben: Jacques Anquetil, Bernard Hinault und Miguel Indurain. Und doch verkörpern sie auf ihre Weise eine Mischung aus Höchstleistung und Bescheidenheit. 1986 nahm der Kanadier Alex Stieda zum ersten Mal an der Tour de France teil und startete als Letzter mit der Rückennummer 210. Bereits bei der ersten Streckenetappe setzte er sich an die Spitze der Gesamtwertung und errang als erster Nordamerikaner das Gelbe Trikot, nur wenige Tage vor dem Kalifornier LeMond.
Die Tour de France 1986 beginnt mit einer Reihe von Fragen, die die Kenner der Radsportwelt beschäftigen: Wie wird eszwischen Bernard Hinault, der zum letzten Mal teilnimmt, und Greg LeMond, dem er seine Unterstützung zugesagt hat, bei La Vie Claire laufen? Wird die zunehmende Stärke der Kolumbianer den Fahrern Lucho Herrera oder Fabio Parra zum endgültigen Sieg verhelfen? Was wird das Team „Système U“ unter seinem Teamführer Laurent Fignon tun können, um diesen Wettkampf für sich zu entscheiden? Die ganz Neugierigen fragen sich auch, welchen Stellenwert die Formation von 7-Eleven hat. Sie ist das erste amerikanische Team, das zur Tour de France eingeladen wurde. Einige sind von der Herausforderung des fünffachen Olympiasiegers im Eisschnelllauf, Eric Heiden, beeindruckt, der die Tour de France gewinnen will. Nur wenige haben jedoch von Alex Stieda gehört, der in seinem Leben bisher auf der Bahn nur eine einzige Medaille bei den Commonwealth-Spielen gewonnen hat.
Die Sternstunde verläuft bitter für Alex Stieda und seine Teamkollegen von 7-Eleven, die unter dem Mannschaftszeitfahren über 56 km zwischen Saint-Quentin-en-Yvelines und Meudon leiden.
Eher spielerisch bricht der junge Kanadier bereits bei der ersten Etappe allein aus, denn er hofft, dank der dabei zu ergatternden „Catch“-Punkte eines der berühmten Trikots zu erringen. Sein kleines Abenteuer bringt ihm tatsächlich ein paar Sekunden als Bonuspunkte ein, und obwohl er vor dem Ziel in Sceaux von insgesamt fünf weiteren Fahrern eingeholt wird, ist Stieda selbst mit seinem fünften Platz hinter dem Etappensieger Pol Verschuere der Bestplatzierte. So wird die Globalisierungsbewegung des Radsports von einem ehemaligen Medizinstudenten getragen, der als erster nordamerikanischer Fahrer das Gelben Trikots trägt und weitaus erfahrenere und berühmtere Fahrer wie Steve Bauer (an diesem Tag Dritter im Gesamtklassement) und Greg LeMond besiegt.
Am Nachmittag dieses 5. Juli verläuft die Sternstunde nicht gut für Alex Stieda und seine Teamkollegen von 7-Eleven, die unter dem Mannschaftszeitfahren über 56 km zwischen Saint-Quentin-en-Yvelines und Meudon leiden. Ein Sturz und vier Reifenschäden gefährden den Zusammenhalt der Gruppe. Auch dem Träger des Gelben Trikots platzt ein Reifen, die anderen lassen ihn zurück und er überquert die Ziellinie allein, während sein Team die zweitschlechteste Zeit von 21 Teams einfährt. Auch wenn der Sturz für Stieda plötzlich kommt, so ist doch das Ergebnis für die Nordamerikaner ziemlich beachtlich, denn am nächsten Tag erzielt Davis Phinney in Liévin den ersten Etappensieg für seinen Kontinent, während Greg LeMond am Ende die Tour de France gewinnt und das Sternenbanner auf der Tribüne in Paris flattern lässt. Eine Premiere in der Geschichte der Tour de France!
Hier können Sie die bisherigen Folgen nachlesen:
. 1931 : Max Bulla (I/X)
. 1939 : Amédée Fournier (II/X)
. 1952 : Andrea Carrea (III/X)
. 1962 : Tom Simpson (IV/X)
. 1968 : Jean-Pierre Genet (V/X)
. 1971 : Marinus Wagtmans (VI/X)