1930 wurden erstmals Nationalmannschaften ins Rennen geschickt und erstmals seit dem Weltkrieg durften wieder deutsche Fahrer teilnehmen. Zwei Jahre später wurde der junge Berliner Radsportler Kurt Stöpel zu einem der wichtigsten Botschafter Deutschlands dieser Zeit. Denn aus den Kontrahenten wurden trotz der harten Auseinandersetzung in der Ebene und erst recht in den Bergen Freunde. Schon am zweiten Tag übernahm Stöpel nach seinem Sieg bei der 300 Kilometer langen Etappe Caen - Nantes als erster Deutscher der Tour-Geschichte das Gelbe Trikot - immerhin für einen Tag. Danach war André Leducq nicht mehr zu halten. Dennoch wird der Franzose nach seinem zweiten Tour-Sieg mit den Worten gegenüber der Ehefrau des Deutschen zitiert: „Madame, wir beide, Kurt und ich, haben die Tour de France gewonnen.“
Respekt auch von Henri Desgrange
Dass Stöpel in einer Zeit, in der sich Deutsche und Franzosen eher feindselig gegenüber standen, ein wichtiger Botschafter seines Landes war, bestätigte auch der Tour-Direktor und -Erfinder Henri Desgrange in seiner Zeitung L'Auto, der Vorläuferin der heutigen L'Équipe: "Wenn ich ihn (Stöpel) so kommen sehe... dann denke ich an jene Nächte im Krieg, in denen ich, in irgendeinem unsicheren Schützengraben liegend, die disziplinierten Angriffe der feindlichen Truppen über mich ergehen lassen musste. Wenn man bedenkt, was für ein Krieg das war! Hätten wir ein wenig mehr Sport zusammen getrieben - zweifelsohne hätten wir uns besser verstanden, uns bewundert, gar geliebt!" Während des Zweiten Weltkrieges wurde Stöpel schließlich von einem ehemaligen Rennfahrer-Kollegen, dem Franzosen Robert Oubron, gefangen genommen.
Stöpel beendet die Tour als Zweiter
Der spannende Zweikampf des favorisierten Franzosen und des Neulings aus Deutschland versetzte die Fachwelt 1932 in Staunen und gewann das deutsche Publikum für das Rennen im Nachbarland. Veranlagung und Zähigkeit hatten Kurt Stöpel zu einem erfolgreichen Straßenfahrer heranwachsen lassen. Erst in letzter Minute war er in das deutsche Team berufen worden. Leider währte die Fahrt in Gelb nur einen Tag. Denn schon am nächsten Tag - nach großer Hitze und sechs Reifendefekten verbunden mit langem Warten auf den neutralen Materialwagen - verlor er das Trikot an den späteren Sieger. Doch noch lag der Deutsche gut im Rennen. Erst am Ende einer legendären Schnee-Etappe in den Alpen von Grenoble nach Aix-les-Bains waren die Siegchancen für Stöpel dahin, als er 13 Minuten nach Léducq ins Ziel kam. Dennoch wurde auch der Tour-Zweite von 70.000 Zuschauern im Pariser Parc des Princes nach dem erbittert geführten, aber jederzeit sportlich-fairen Duell frenetisch gefeiert.
Bestes Resultat für 64 Jahre
64 Jahre lang war Stöpel damit der beste Deutsche im Gesamtklassement der Tour de France. 1996 hatte Jan Ullrich als Zweiter hinter Bjarne Rijs die bis dahin beste Platzierung eines Profis von jenseits des Rheins egalisiert. Leider konnte er den ersten Sieg eines Landmanns nicht mehr miterleben - er starb einen Monat vor Ullrichs Tour-Gewinn 1997 in einem Altenheim in Berlin-Spandau.